Bitte beachten Sie, dass die Tagung aufgrund der aktuellen Corona-Notfallverordnung in Sachsen ausschließlich online stattfinden kann.
Jahrestagung 2021
Die Geschichten von Rassismus und Antisemitismus ziehen sich wie ein rotes Band durch die europäischen Gesellschaften. Rassistische Zugehörigkeitsordnungen sind konstitutiv für die Geschichte Europas und fanden ihren materiellen Ausdruck nicht nur in den kolonialen Unterwerfungen von Bevölkerungen in Ländern, die als nicht-europäisch qualifiziert und ausgebeutet wurden. Vielmehr verhalfen rassistische Zugehörigkeitsvorstellungen auch zu einer Abstufung innerhalb Europas, die bis heute eine hierarchisierte Raumordnung immer wieder aufs Neue begründet, gepaart mit einer imaginären Landkarte von Zonen der Rückständigkeit.
Die Konjunkturen rassistischer Artikulationen und Äußerungsformen mögen in den verschiedenen Ländern unterschiedlich verlaufen, doch sie haben eines gemeinsam: Seit Jahren haben Bewegungen und Parteien, die rassistische Ressentiments für ihre Politiken nutzen, quer durch Europa Zulauf und sitzen mittlerweile nicht nur in Parlamenten, sondern auch in Regierungen.
Auch rassistische Gewaltakte, sei es in Halle oder Hanau, in Calais oder an den europäischen Außengrenzen nehmen einen systemischen Charakter an. Doch auch die aktuelle Konjunktur des Rassismus ist nicht auf Formen offensiver Gewalt beschränkt, vielmehr konstituiert Rassismus ein gesellschaftlich normalisiertes Verhältnis von Unterscheidungspraktiken, das sich in Kultur, Wissen, Sprache, in Körperwahrnehmungen und -modellierungen, in Bildungs-, Sozial- Wohnungs- und Arbeitsregimen äußert.
Diesen Zusammenhängen widmet sich die internationale Jahrestagung des Rat für Migration; die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Die Redebeiträge werden sowohl wechselseitig simultan als auch in die Deutsche Gebärdensprache (DGS) übersetzt.
Wie Rassismus sag- und sprechbar wurde, aber auch seine Kritik haben sich in den letzten Jahren stark verändert – Stichworte wären hier der antimuslimische Rassismus oder auch Formen von Femorassismen bzw. einer Sexualisierung des Rassismus, wie sie sich in Debatten in Folge der Kölner Silvesternacht artikuliert haben, bis hin zu post-race-Diskursen. Während die Mordserie des NSU noch bis zur Selbstaufdeckung als nicht rassistisch motiviert galt, hat nicht zuletzt die BlackLivesMatter-Bewegung international zu einer neuen kritischen Wahrnehmung, Anerkennung und Diskursivierung von Rassismus als Rassismus beigetragen. Während vor allem in der deutschen Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft Rassismus durch die Gräuel des Nationalsozialismus überschrieben und nur schwer in Diskussionen einbringbar war, kann seit den intensiven und breiten Resonanzen auf den Polizeimord an George Floyd bis in die Talkshows eine erhöhte Aufmerksamkeit festgestellt werden, welche auch den kolonialen Rassismus und seine Sedimentierungen in Strassennamen, Denkmälern, oder Liedern, aber auch seine neuerlichen Formationen diskutierbar gemacht hat. So hat auch die deutsche Bundesregierung nach Jahren weitgehender Umgehung der Auseinandersetzung mit der Normalität und Alltäglichkeit rassistischer Praktiken Kabinettsausschüsse gegen Rassismus und Rechtsextremismus eingesetzt und die Notwendigkeit seiner differenzierten Aufarbeitung und Thematisierung anerkannt.
Mit der Jahrestagung des Rats für Migration „Körper und ‚Rasse‘. Konjunkturen von Rassismus in Europa“ vom 24. bis 26. November 2021 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden greifen wir diese ambivalenten Entwicklungen auf und werfen den Blick auf rassistische Genealogien, Formationen und Verwerfungen in Europa und darüber hinaus. Quer durch Europa hat sich ein offen rassistisch artikulierender Block gebildet, der „Europa“ oder „das Abendland“ als weißes Projekt mit zunehmender Gewalt nach Außen und Innen konstituiert, Grundrechte zur Disposition stellt, kritische Öffentlichkeiten und Forschung diskreditiert. Zugleich hat sich eine breite und differenzierte Kritik an diesen rassistischen Artikulationen und Praktiken formiert. Die Tagung will einen Beitrag zur Analyse dieser Verhältnisse leisten, durchaus im Sinne der Stärkung rassismuskritischer Perspektiven.
Die Tagung setzt sich mit gegenwärtigen wie historischen Konjunkturen von Rassismus in Europa auseinander, wobei der Umstand, dass rassistische Praktiken nicht nur Körper verletzen, sondern Körper auch konstituieren, mit Bezug auf die Themen „Grenzen“, „Erfahrungen“ und „Technologien“ diskutiert wird. Darüber hinaus wird die in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung durchgeführte Tagung die Bedeutung der rassismustheoretischen Sondierung Europäischer Gegenwart und Geschichte für politische Bildung herausstellen.
Eröffnung für den Rat für Migration Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu
Grußwort für das Deutsche Hygiene-Museum Dresden Dr. Susanne Illmer
Grußwort für die Bundeszentrale für politische Bildung Dr. Thomas Krüger
17:25 – 17:40 Uhr
Einführung in die Tagung durch die Planungsgruppe Prof. Dr. Vassilis Tsianos (FH Kiel)
In der postkolonialen Gegenwart sind Fragen der Zugehörigkeit auch mit Imaginationen von Körpern verbunden, die von Rassekonstruktionen vermittelt sind. Dies prägt auch das zeitgenössische europäische Verständnis von Migration, Nationalismus und Kolonialismus. Ziel des Panels ist es, den Rahmen dieser voneinander abhängigen Ideen in ihren unterschiedlichen geographischen Kontexten innerhalb Europas von West nach Ost, vom westlichen Imperialismus bis hin zu den ethnisierten Konflikten nach dem Zerfall Jugoslawiens zu verfolgen. Um die unterschiedlichen Verständnisse der vielen Europas zu reflektieren, werden die Verbindungen zwischen Körper, Rassekonstruktionen und Europa auf der Grundlage der unterschiedlichen akademischen Schwerpunkte der Sprecher*innen auf dem Panel diskutiert.
17:45 – 20:00 Uhr
Inputs Assoc. Prof. Dr. Alana Lentin Western Sydney University, AUS
Dr. Eddie Bruce-Jones Birkbeck, University of London, UK
Kommentare
Prof. Dr. Nacira Guénif University Paris 8 Vincennes - Saint-Denis, FR
Assist. Prof. Dr. Piro Rexhepi Northampton Community College, USA
Moderation
Prof. Dr. Riem Spielhaus Universität Göttingen, GER
Prof. Dr. Vassilis Tsianos FH Kiel, GER
Donnerstag 25. November 2021
Moderation
Prof. Dr. Paul Mecheril Universität Bielefeld, Stellvertretender Vorsitzender des Rat für Migration, GER
Race ist als eine Technologie für das Management menschlicher Differenz zu verstehen, deren Hauptziel die Produktion und Aufrechterhaltung weißer Dominanz sowohl auf lokaler als auch auf planetarischer Ebene ist. Race-Technologien fungieren somit als eine Art Schaltzentrale der digitalen (Außen-)Grenzen Europas, diese wiederum als bevölkerungspolitische Instrumentarien zur Produktion dessen, was Nacira Guénif „corps-frontières“ (Grenz-Körper) nennt. Einem intensiven Kalkül unterworfen, in dem Internationalisierung und Externalisierung konvergieren, erweisen sich Grenz-Körper als teilbare „Rasse“-Körper, sie lassen sich zerlegen und neu zusammensetzen, wobei ihre Assemblierung den Gesetzen von Code und Raum unterliegt.
10:00 – 12:00 Uhr
Impulsvorträge Prof. Dr. Claudia Bruns Humboldt-Universität Berlin, GER
Prof. Dr. Katharina Schramm Universität Bayreuth, GER
Dr. Sevasti Trubeta Hochschule Magdeburg-Stendal, GER
Diskussion mit dem Publikum
Moderation
Prof. Dr. Vassilis Tsianos FH Kiel, GER
Philomena Essed hat bereits in den 1990er Jahren die Bedeutung der individuellen subjektiven Erfahrung von Rassismus für dessen Theoretisierung beschrieben. Das Panel fragt, wie unterschiedliche Formen von Rassismus erlebt und Widerstand gegen rassistisch strukturierte Realität geäußert werden und auf welche Weise diese Erfahrungen mit Verkörperung und Körper verbunden sind. Vor dem Hintergrund dieser Fragen werden die Beiträge in historischer und globaler Perspektive empirische Zusammenhänge in spezifischen Kontexten erörtern. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Räumen und Raumvorstellungen in Ost-, West-, Süd- und Nordeuropa, die von Rassekonstruktionen und Kolonialität vermittelt sind, aber auch in Frage gestellt werden.
13:30 – 15:30 Uhr
Inputs
Dr. Anna Safuta Universität Bremen, GER
Assoc. Prof. Dr. Tobias Hübinette Karlstad University, SWE
Dr. Bolaji Balogun University of Sheffield, UK
Diskussion mit dem Publikum
Moderation
Dr. Linda Supik Universität Münster, GER
Auf den ersten Blick ist klar, dass staatliche (territoriale) Grenzregime, Räume und Apparate sind, die rassistische Ausschließungen herstellen, rassifizierte Körper produzieren und (neo)koloniale Ordnungen im Weltmaßstab absichern helfen. Doch ein zweiter Blick zeigt auch, dass es die Grenze an sich, im Sinne der historisch gleichen Funktionalität nicht gibt und sie auch nicht immer die gleichen rassistischen Funktionen ausübt. So können sich racial profiling-Praktiken durchaus im Widerspruch zu neoliberaler auf Migration-Management abzielenden Grenzpolitiken befinden, andererseits scheint die gegenwärtige massive Grenz-Gewalt an den EU-europäischen Außengrenzen durch eine erneute Konjunktur rassifizierter Entmenschlichungsdiskurse angefeuert zu sein, die das hegemoniale Projekt einer European white supremacy performieren. Unter Rückgriff auf die border studies und aktuelle empirische Forschungen zu gegenwärtigen Grenzregimen der EU sowie der USA wird das Panel im Sinne eines Werkstattgesprächs der Frage nachgehen, wie rassistische Funktionalität(en) von Grenze begrifflich gefasst und konzeptuell sowie analytisch beforscht werden kann (können).
16:00 – 18:00 Uhr
Werkstattgespräch "Borders and Racial Order"
Prof. Dr. Nicholas De Genova University of Houston, USA
Dr. Leslie Gross-Wyrtzen Yale University, USA
Dr. Arshad Isakjee University of Liverpool, UK
Dr. Karolına Augustova Aston University, UK
Diskussion mit dem Publikum
Moderation:
Prof. Dr. Sabine Hess Universität Göttingen, GER
Prof. Dr. Vassilis Tsianos FH Kiel, GER
Freitag 26. November 2021
Moderation
Prof.‘in Dr. Yasemin Karakaşoğlu Universität Bremen, Vorsitzende des Rats für Migration, GER
Dieses Panel wird sich auf das Zusammenspiel von Urbanität, "Rasse" und Körpern konzentrieren, indem folgende Fragen verfolgt werden: Wie werden Körper durch die Produktion von Raum rassifiziert? Wie wird Raum durch Körperpolitik rassifiziert? Wie werden rassifizierte Körper verräumlicht? Wie sind diese Fragen als Ergebnisse (post)kolonialer Bedingungen zu verstehen? Wie überschneiden sich Geschlecht, 'Rasse' und Raum? Vor dem Hintergrund dieser Fragen werden die vorgestellten Beiträge in historischer und globaler Perspektive auf ihre empirischen Fälle blicken, um einige Antworten zu geben, die auf der Konferenz diskutiert werden sollen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Räumen in Europa, die die Vorstellung von Ost-, West-, Süd- und Nordeuropa entlang des Konzepts von Rasse und Kolonialität in Frage stellen.
09:30 – 11:30 Uhr
Vorträge
Dr. Giovanni Picker University of Glasgow, UK
Prof. Dr. AbdouMaliq Simone University of Sheffield, UK
Dr. Mahdis Azarmandi University of Canterbury, NZ
Prof.* Dr. Jin Haritaworn York University, CAN
Diskussion mit dem Publikum
Moderation
Dr. Noa K. Ha DeZIM Institut, GER
Ein konjunkturtheoretischer Blick auf Rassismus verweist darauf, dass unter spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen bestimmte Rassismen besonders intensiv aktualisiert und mobilisiert werden. Im Gespräch gehen Manuela Bojadzijev und Serhat Karakayali den jüngeren Konjunkturen des Rassismus und der Rassismen in europäischen Kontexten nach.
12:00 – 13:30 Uhr
Gespräch und Diskussion mit dem Publikum
Prof. Dr. Manuela Bojadzijev HU Berlin, GER
Dr. Serhat Karakayali Humboldt-Universität zu Berlin, GER
Moderation
Prof. Dr. Maisha-Maureen Auma Hochschule Magdeburg-Stendal, GER
13:00 – 14:00 Uhr
Was folgt für die politische Bildung?
Prof. Dr. Anja Besand TU Dresden, GER
Karima Benbrahim IDA-NRW, GER
Moderation
Prof.‘in Dr. Yasemin Karakaşoğlu Universität Bremen, Vorsitzende des Rats für Migration, GER
Prof. Dr. Paul Mecheril Universität Bielefeld, Stellvertretender Vorsitzender des Rat für Migration, GER
14:00 – 14:15 Uhr
Abschluss der Tagung
Prof.‘in Dr. Yasemin Karakaşoğlu Universität Bremen, Vorsitzende des Rats für Migration, GER
Prof. Dr. Paul Mecheril Universität Bielefeld, Stellvertretender Vorsitzender des Rat für Migration, GER
Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Die Redebeiträge werden sowohl wechselseitig simultan als auch in die Deutsche Gebärdensprache (DGS) übersetzt.
Die Tagung findet unter den Auflagen zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Covid-Virus SARS-CoV-2 statt. Das bedeutet, dass die komplette Veranstaltung vor Ort durch ein Streamingangebot ersetzt wurde, welches Ihnen die Möglichkeit geben wird, sich ortsunabhängig live zur Onlineveranstaltung zuzuschalten. Informationen hierzu werden ihnen nach Anmeldung und vor der Veranstaltung per Mail zugesendet.
Die RfM-Jahrestagung 2021 "Körper und ‚Rasse‘: Konjunkturen von Rassismus in Europa" ist öffentlich. Die Anmeldung ist bis zum 20. November 2021 (Frist wurde verlängert!) über diese Seite erforderlich. Bei Überschreitung des Kontingentes werden RfM-Mitglieder bevorzugt. Die Jahrestagung des Rats für Migration findet in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene-Museum in Dresden statt und wird durch die Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.
Gerahmt wird diese Tagung von dem Kunst- und Kulturfestival "Rassismus verlernen", das zwischen dem 22. November und dem 29. November 2021 in Dresden stattfinden wird. Für mehr Informationen, klicken Sie auf das Banner.
Die Anmeldung für den Livestream ist beendet. Wir stellen Ihnen eine Aufzeichnung der Veranstaltung nach der Tagung hier zur Verfügung.
VERANSTALTUNGSORT Deutsches Hygiene-Museum Dresden Großer Saal Lingnerplatz 1 01069 Dresden KONTAKT Rat für Migration e.V. info@rat-fuer-migration.de Tel.: 030/2088 8480